Die indische Regierung muss aufhören, die Bauernproteste zu unterdrücken und Kritiker_innen zu diskreditieren

Amnesty International fordert, dass die indische Regierung unverzüglich ihr repressives Vorgehen gegenüber Protestierenden und Journalist_innen im Zuge der anhaltenden landesweiten Proteste gegen die jüngst verabschiedeten Landwirtschaftsgesetze einstellt. Amnesty International ruft außerdem zur sofortigen Freilassung all derer auf, die nur verhaftet wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung friedlich ausgeübt haben.

Anstatt Meldungen von Gewalttaten gegen Protestierende nachzugehen und die Täter_innen zur Rechenschaft zu ziehen, haben die Behörden den Zugang zu den Versammlungsorten behindert, die Internetverbindung unterbrochen, die Sozialen Medien zensiert und drakonische Gesetze gegen die Menschen angewendet, die nun seit Monaten friedlich gegen die neuen Landwirtschaftsgesetze protestieren.

„Jede/r, die/der es wagt zu protestieren oder die repressiven Gesetze der Regierung zu kritisieren, wird zur Zielscheibe der Behörden. Darin sehen wir eine alarmierende Eskalation der Lage.“ Rajat Khosla, Senior Director of Research, Advocacy and Policy at Amnesty International

„Wir beobachten, dass jede Person, die es wagt zu protestieren oder die repressiven Gesetze der Regierung zu kritisieren, zur Zielscheibe der Behörden wird. Darin sehen wir eine alarmierende Eskalation der Lage. Während die Unterdrückung von Protesten gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz (Citizenship Amendment Act) weiter andauern, sind neue Maßnahmen ergriffen worden, um die Bauernproteste aufzulösen. Die Unterdrückung von Dissens lässt wenig Raum für Menschen, friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung im Land auszuüben, sagt Rajat Khosla, Senior Director of Research, Advocacy and Policy at Amnesty International.

Mindestens acht führende Journalist_innen und Politiker_innen wurden der Anstiftung zum Aufruhr angeklagt, nachdem sie über die Bauernproteste berichteten. Sie wurden bezichtigt, mit Tweets am 26. Januar, dem Tag der Republik, Falschmeldungen verbreitet und zu Aufständen aufgerufen zu haben.

Mandeep Punia, ein freischaffender Journalist für das Politikmagazin The Caravan wurde am Abend des 30. Januar verhaftet. Kurz vorher hatte The Caravan auf Facebook berichtet, dass die Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) ihre Mitglieder geschickt hätte, um die protestierenden Bauern anzugreifen. Zunächst wurde Mandeep Punia für 14 Tage eingesperrt, ohne Erlaubnis, einen Anwalt oder eine Anwältin zu sehen. Später wurde ihm Kaution gewährt.

Am ersten Februar wurden hunderte Twitterprofile von Nachrichtenseiten, Aktivist_innen und Schauspieler_innen für mehr als 12 Stunden gesperrt, nachdem die Regierung vorgab, diese würden durch die Verwendung des Hashtags #FarmersProtests zur Gewalt aufrufen. Twitter hob die Sperren am Abend auf.

„Die Behörden müssen aufhören friedliche Protestierende zu bedrohen, zu diskreditieren und zu verhaften. Sie müssen aufhören, sie als „antinational“ oder gar als „Terroristen“ zu bezeichnen.“ Rajat Khosla, Senior Director of Research, Advocacy and Policy at Amnesty International

Am dritten Februar allerdings ordnete die indische Regierung an, dass Twitter Inhalte und Profile im Zusammenhang mit Hashtags, die die Bauernproteste unterstützen, entfernen müsse. Am selben Tag meldeten viele Nachrichtenagenturen, dass ihre Journalist_innen von der Polizei gehindert wurden, die Camps der Protestierenden zu besuchen.

Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte rief die indischen Behörden am fünften Februar dazu auf, „maximale Zurückhaltung“ im Umgang mit den Protestierenden zu zeigen. Es fügte hinzu, dass das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit online wie offline geschützt werden müsse.

„Die Regierung Indiens sollte sich mit ihren Bürger_innen auseinandersetzen und zuhören. Die Behörden müssen aufhören, friedliche Protestierende zu bedrohen, zu diskreditieren und zu verhaften. Sie müssen aufhören, sie als „antinational“ oder gar als „Terrorist_innen“ zu bezeichnen, so Rajat Khosla.

„Amnesty International ruft zur sofortigen und bedingungslosen Freilassung all derer auf, die inhaftiert wurden, nur weil sie ihr Recht auf friedlichen Protest ausgeübt haben. Außerdem muss die indische Regierung die Einschüchterung und Diskreditierung von Protestierenden umgehend beenden.“

Die Protestcamps gleichen Kriegsschauplätzen. Die Polizei hat sie mit Zementabsperrungen und Stacheldraht umgeben. Mehr als 2000 Eisennägel wurden auf den zuführenden Straßen verstreut. Die Bauern haben keinen Zugang mehr zu den von ihnen errichteten Toiletten und die Müllentsorgung ist unterbrochen, sodass die Furcht vor ansteckenden Krankheiten wächst. Das Hauptcamp in Delhi sowie anliegende Lager wurden wiederholt vom Internet abgeschnitten.

Hintergrund

Ein friedlicher Protest verliert seinen friedlichen Charakter nicht durch die sporadische Gewalt Einzelner. Wo eine kleine Minderheit versucht, einen friedlichen Protest in Gewalt umschlagen zu lassen, muss die Polizei sicherstellen, dass die, die friedlich bleiben, weiter protestieren dürfen. Die Polizei darf die Gewalt Einzelner nicht als Vorwand nutzen, um die Rechte der Mehrheit einzuschränken.

Unterdrückung der Proteste

Bauerngruppen berichten, dass seit der Traktorendemonstration am 26. Januar mehr als 100 Personen verschwunden sind. Drakonische Strafgesetze gegen Aufruhr und „rechtswidrige Aktivitäten“ (Unlawful Activities Prevention Act) wurden genutzt, um hart gegen die Protestierenden durchzugreifen. So sind unter den 120 Personen, die im Zusammenhang mit der Gewalt am Tag der Republik verhaftet wurden, nach Angaben der Polizei auch mindestens sechs Rentner_innen.

Zahlreiche Medienorganisationen, darunter die Redakteur_innenvereinigung Indiens (Editors Guild of India), der indische Presseclub (Press Club of India), die Pressevereinigung indischer Frauen (Indian Women’s Press Corps), die Gewerkschaft der Journalist_innen in Delhi, die Indische Journalist_innengewerkschaft, sowie Reporter ohne Grenzen haben alle Stellungnahmen veröffentlicht, die das Vorgehen gegen Journalist_innen, die über die Proteste berichten, verurteilen.

22. Februar 2021